Update 12.05.17 14:42: Der MDR hat die Überschrift in “Wehrmachtsgeneräle als Namenspatrone für Bundeswehr-Kasernen?” geändert.
tl;dr: Der MDR fragt einen Fachmann nach seiner Meinung zum Traditionserbe der Bundeswehr und bekommt eine wissenschaftliche Antwort. Diese Antwort ist aber nicht reißerisch genug und daher wird eine völlig sinnentstellende Headline für das Interview genutzt. Diese Überschrift geht komplett an den historischen Fakten vorbei.
Der MDR führte gestern ein Telefoninterview mit dem Militärhistoriker Jochen Böhler. Er wurde befragt, wie die Bundeswehr in seinen Augen mit dem Traditionserbe der Wehrmacht umgehen sollte. Seine Antworten könnte man mit der klassischen Historikerantwort „Das muss man differenziert betrachten.“ zusammenfassen. Er stellt in Frage ob Kasernen weiterhin nach Wehrmachtsangehörigen benannt sein sollten und ob nach welchen Gesichtspunkten über eine Benennung entschieden werden sollte. In seinen Augen sollte diese Frage nicht in Hinblick auf militärische Erfolge, sondern vielmehr auf die Tauglichkeit zum demokratischen Vorbild untersucht werden. In diesem Zusammenhang spricht er von der Verteidigung von „Recht und Freiheit“. Er nutzt diese Worte im Verlauf des Interviews erneut. Der MDR strickte daraus folgende Überschrift:
Wehrmachtsangehörige kämpften teils für „Recht und Freiheit“
Dieses Zitat ist auf drei Ebenen falsch:
- Böhler hat es so nicht gesagt.
- Er sprach nie von kämpfen im Zusammenhang mit „Recht und Freiheit“. Bei der ersten Nennung sprach er von den Idealn „Recht und Freiheit“ und bei der Zweiten vom Einsatz für „Recht und Freiheit“.
- Die Zahl der Wehrmachtsangehörigen die sich tatsächlich für „Recht und Freiheit“ eingesetzt haben ist verschwindend gering. Wolfram Wette geht in „Retter in Uniform“ von ca. 100 Personen aus. Insgesamt versahen 18,2 Millionen Soldaten Dienst in der Wehrmacht.
Ein Beispiel für einen Wehrmachtssoldaten der sich für „Recht und Freiheit“ auszeichnete ist der Hauptmann Willy Schulz. Hier war das vorherrschende Motiv vermutlich die Liebe zu einer Jüdin aus einem ihm unterstellten Arbeitskommando. Am 31. März 1943 desertierte er mit einem Wehrmachts-LKW aus Minsk. Auf der Ladefläche befand sich das jüdische Arbeitskommando seiner Geliebten, insgesamt 25 Personen. [1]
Doch warum gibt es bei der Bundeswehr keine Willy-Schulz-Kaserne?
Einfache Antwort: Keine Armee der Welt kann eine Kaserne nach einem Deserteur benennen. Das passt schlicht nicht in das Bild von Befehl und Gehorsam. Gleiches gilt für Soldaten die sich Befehlen, beispielsweise zur Teilnahme an Massenerschießungen, widersetzten.
[1] Wette, Wolfram; Haase, Norbert (Hg.) (2002): Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht. Orig.-Ausg. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl. (Die Zeit des Nationalsozialismus, 15221), S. 618