Die „Aktion Reinhardt“ bezeichnet die Ermordung der Juden im Generalgouvernement unter Leitung des höheren SS- und Polizeiführers Odilo Globocnik. Dieser „Aktion“ fielen mindestens 1,8 Millionen Menschen zum Opfer. Der größte Teil unter ihnen waren polnische Juden aus dem Generalgouvernement. Doch auch deutsche, österreichische, niederländische und Juden aus anderen Ländern starben. Außerdem wurden etwa 2000 Sinti und Roma getötet, obwohl sie eigentlich nicht im Fokus der „Aktion“ standen. Die Tötung geschah in den reinen Vernichtungslagern in Treblinka, Sobibor und Belzec. Es gab insgesamt weniger als 150 Überlebende, in Belzec sogar nur fünf, die aus den Lagern berichten konnten. Bereits 1943 hatte Globocnik sein Ziel erreicht und das jüdische Leben im Generalgouvernement ausgelöscht. Die Lager wurden planiert und zur Vertuschung mit Wäldern bepflanzt.
Das Buch stellt eine Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes dar und möchte die Vernichtungslager in Ostpolen in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Aufgrund der Kürze von 208 Seiten und der Auslagerung der Fußnoten in den Anhang, ist es sowohl für Historiker als auch für Laien geeignet. Lehnstaedt verarbeitet größtenteils sehr aktuelle Literatur, z. B. wie Sara Bergers Gruppenbiografie „Experten der Vernichtung. Das T4-Reinhardt-Netzwerk in den Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka“ (2013) und Robert Kuwaleks umfassende Darstellung „Das Vernichtungslager Belzec“ (2013). In insgesamt achtzehn Kapiteln nimmt er sich den unterschiedlichen Themenkomplexen an und verzichtet auf eine rein chronologische Darstellung der Lagergeschichte, da er die Überblicksdarstellung durch unterschiedliche thematische Einschübe komplettiert.
Eingangs stellt er, ergänzend zur Geschichte vom Aufbau der Lager, die personelle Kontinuität von der „Aktion T4“ zur „Aktion Reinhardt“ dar. Nach Einstellung der „Aktion T4“ gab es erfahrenes Tötungspersonal ohne aktuelle Verwendung, das im Zuge der „Aktion Reinhardt“ in den Vernichtungslagern eingesetzt wurde. Daran schließt er die kurze biografische Darstellung der unterschiedlichen Täter an.
Nach Schilderung des Lageralltags und der Mordprozesse aus Opferperspektive, geht er auf die Aufstände in Sobibor und Treblinka ein, die die einzige Überlebenschance darstellt. Durch diese Aufstände gelang einigen Juden die Flucht. Dadurch ergibt sich das nächste Kapitel zur öffentlichen Bekanntheit der „Aktion Reinhardt“. Während der Aufstände konnten eine größere Zahl Gefangene entkommen. Sie legten gegenüber dem Ringelblum Archiv im Warschauer Ghetto und Partisanengruppe Zeugnis über die Geschehnisse in den Vernichtungslagern ab. Die polnische Zivilbevölkerung und normale Wehrmachtsangehörige im entfernten Warschau waren informiert, was mit den aus Warschau deportierten Juden geschah. Selbst die Opferzahlen konnten, aufgrund der Regelmäßigkeit der Deportationszüge, erstaunlich genau geschätzt werden.
Als Resümee der „Aktion Reinhardt“ lieferte Globocnik einen wirtschaftlichen Schlussbericht ab und nannte einen Gewinn von über 178 Millionen Reichsmark. Hiervon will er Ausgaben, u. a. für den Bau der Lager und Transportkosten der Reichsbahn, schon abgezogen haben. Lehnstaedt widerlegt diese Fantasiezahl und geht auf die persönliche Bereicherungen der Involvierten und in die Verbrechen verstrickte Kreditinstitute ein.
Die Lager der „Aktion Reinhardt“ wurden planiert und mit Wald bepflanzt. Es wurde jeweils eine Farm errichtet. Diese wurden von sowjetischen Kriegsgefangenen bewohnt, die sich zu seiner Kollaboration entschlossen hatten und diente zur Bewachung der ehemaligen Gelände. Nach der Befreiung tauchten die Kollaborateure unter und überließen die Gelände ungeschützt der polnischen Bevölkerung. Diese durchwühlten die Massengräber nach nicht entdeckten Wertgegenständen wie Goldzähnen und Geld. Auch auf diese „Goldene Ernte“ geht Lehnstaedt ein, stellt sie jedoch auch in Relation zu dem vom Deutschen Reich begangenen Genozid.
In der Nachkriegszeit gab es aufgrund der geringen Zahl Überlebender, wenig gerichtliche Aufarbeitung der Verbrechen. Dies gilt sowohl für BRD als auch für die DDR. Diesem Themenkomplex ist das vorletzte Kapitel gewidmet. Hier geht Lehnstaedt auf die unterschiedlichen Prozesse und Resultate ein.
Als Abschluss stellt Lehnstaedt den aktuellen Stand der Gedenkstätten dar, die sehr im Schatten von Auschwitz stehen. Hier ist seine Darstellung leider nicht aktuell. Er stellt die ehemalige Kommandantur von Belzec und den in der Nähe befindlichen ehemaligen Lokschuppen, in dem jüdisches Eigentum gelagert wurde, als leer stehend und unbeachtet dar. Tatsächlich wurde der Lokschuppen an einen privaten Investor verkauft und alle verwertbaren Teile durch ihn demontiert. Die Kommandantur wollte die polnische Staatsbahn, ohne Hinweis auf die historische Bedeutung, 2014 versteigern. Daraufhin plante das deutsche Bildungswerk Stanislaw Hantz den Erwerb des Gebäudes und warb öffentlich um Spenden. Dies erzeugte öffentlichen Druck und führte schließlich zur Absage der Versteigerung und Übergabe an die Gedenkstätte Belzec. Aktuell wird, nach Einholung eines Baugutachtens, die weitere Nutzung und Sanierung des Gebäudes geplant. Diese fehlenden Informationen lassen sich durch die frühe Drucklegung des Werkes entschuldigen.
Insgesamt liefert Lehnstaedt einen überzeugenden und leicht verständlichen Überblick zur „Aktion Reinhardt“. Er lässt die Überlebenden in vielen, teils sehr drastischen, Zitaten zu Wort kommen und zeichnet ein ungeschöntes Bild der Realität. Das Überblickswerk ist jedem zum empfehlen, der sich mit dem Holocaust befasst, da die „Aktion Reinhardt“ eine wichtige Schlüsselrolle spielte. Hoffentlich steigt durch diesen Überblick das Interesse der deutschen Geschichtsschreibung und Gedenkkultur am Holocaust abseits von Ausschwitz.