Das am Freitag Geschehene lies mir leider keine Ruhe und daher musste ich den folgenden Blogpost verfassen. In diesem soll es nicht um ein sportliches oder persönliches Erlebnis gehen, sondern es soll vielmehr versucht werden mögliche Planungs- und Verhaltensfehler der eingesetzten Sicherheitskräfte aufzuzeigen. Diese Fehler führten zum Verlust der Kontrolle über die Einlasssituation. Hierzu schreibe ich aus der Perspektive eines DRK Helfers, der mit Sicherheitskonzepten vertraut ist und ebenso aus der Perspektive meiner Arbeit bei Konzertveranstaltungen.
Zuallerst gibt es in NRW diverse Vorschriften, welche bei Großveranstaltungen einzuhalten sind. Es geht um Planungen und bauliche Anforderungen an Versammlungsstätten. Für jede größere Veranstaltung muss ein Sicherheitskonzept mit den Behörden und allen an der Organisation Beteiligten abgesprochen werden. Im Falle eines Fußballballspiels wären das also gastgebender Verein, der Gastverein, Polizei, Feuerwehr, Sicherheitsdienst, Sanitätsdienst und mögliche weitere Beteiligte. Das Konzept umfasst u.a. Planungen zur Größe des Sanitätsdienstes, Anzahl der eingesetzten Sicherheitskräfte, Maßnahmen bei Unglücken, aber auch Planungen zur Einlasssituation.
Zusätzlich wird durch die Versammlungsstättenverordnung vorgeschrieben, wie eine Versammlungsstätte (hier das Stadion) aufgebaut sein muss. Es wird zum Beispiel bestimmt wie breit Fluchtwege pro Zuschauerzahl sein müssen oder wie groß ein Fanblock maximal sein darf. Dies hat im Düsseldorfer Stadion die Auswirkung, dass die umgebauten Stehplatzbereiche nicht bis zur Maximalkapazität verkauft werden dürfen, da die vorhanden Fluchtwege für Sitzplätze geplant wurden und nun zu schmal sind. Die Verordnung regelt allerdings auch, wie die Einlassbereiche aufgebaut sein müssen. Hier heißt es in §30(2):
“Vor den Eingängen sind Geländer so anzuordnen, dass Besucher nur einzeln und hintereinander Einlass finden.”
Also vorweg, kann ich sagen, dass die vor den Einlasstoren angeordneten Gitter, die ein seitliches Ausweichen für gegen die Tore gedrückte Fans unmöglich machten, dort absolut richtig angebracht sind.
Einlasskonzept
Hier möchte ich zum ersten schwierigen Punkt in Duisburg kommen. Es waren 6000 Gästefans erwartet, damit weit mehr als normal üblich und auch weitaus mehr als das normale Fassungsvermögen, des Gästeblocks. Für Steh- und Sitzplatzbereich sind normalerweise jeweils zwei Schleusen zur Kontrolle vorhanden. Die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e.V. (VFDB) gibt die Breite einer durchschnittlichen Einlassschleuse mit 60cm an. Die normale Flusskapazität beträgt also etwa 4000 Personen pro Stunde, jedoch wird hier weder einer Kartenkontrolle noch eine Abtastung berücksichtigt. Hierdurch kommt es durch erhebliche Verzögerungen, die jedoch, durch eine größere Anzahl Ordner hinter der Absperrung, ausgeglich werden können, bis zu einem Maximalwert von etwa 1000 Personen pro Stunde und Schleuse. Dies wäre bei normalerweise etwa 2000 Gästefans, von denen maximal 1200 auf den Stehplätzen sind absolut ausreichend. Doch die nun erwarteten Fortunen stellten den Sicherheitsdienst vor ein Problem. Der VFDB gibt auch eine Devise zur Proportionierung von Einlasskontrollen aus:
“Auf jeden Fall muss die Anzahl der Einlasskontrollen dem erwarteten Personenstrom angemessen sein, d.h. Wartezeiten von mehreren Minuten sollten vermieden werden.”
Also entwickelten die Veranwortlichen vermutlich auf dieser Basis das Konzept der vorgezogenen Körperkontrollen um den schmalen Korridor vor den eigentlichen Einlasskontrollen zu entlasten. Wie stark gefüllt dieser Bereich nun tatsächlich war, ist auf diesem Bild gut zu erkennen. Soweit eine gute Idee, da auch im WDR Bericht ersichtlich wird, dass der Bereich Einlasskontrollen vorschriftmäßig durch Bühnenabsperrgitter gesichert ist. Zu den Vorteilen dieser Gitter komme ich später.
Ob vor diesen Kontrollen Vereinzelungsanlagen aufgebaut waren, konnte ich leider im Gedränge nicht mehr erkennen. Soweit war dies ein guter Plan der auch die Enge am Gästeeinlass berücksichtigte. Jedoch entschied nun die Polizei Maßnahmen zu ergreifen, die so im Konzept nicht vorgesehen waren und zog eine weitere Sperre vor den Körperkontrollen auf der Bertaallee. Diese erreichte der Marsch gegen 18:20.
Sperrstelle durch Polizei
Hier sollten maximal Gruppen von 100 Personen zu den Kontrollen durchgelassen werden um einen Blocksturm, und damit das Umgehen der Kontrollen, zu vermeiden. Leider wies diese Sperrstelle erhebliche Mängel auf. Es wurden zur Absperrung Polizeibeamte hinter Hamburger Gittern eingesetzt und die Sperrstelle als Trichter aufgebaut, an dessen Spitze sich der Auslass für Menschen befand. Dieser Auslass wurde mit Eintreffen des Marsches verschlossen. Soweit die Situation als der Marsch an der Sperrstelle eintraf. Warum liegt hier der neuralgische Punkt?
- Der Einsatz von Hamburger Gittern (Polizeigitter) ist hier absolut nicht zweckmäßig. Durch ihren Aufbau sind sie nicht für Situationen gebaut in denen Menschenmassen Druck auf sie ausüben, sie stellen durch ihre Stangenkonstruktion ein erhebliches Verletzungsrisiko dar. Der Druck wird hier sehr punktuell auf den menschlichen Körper ausgeübt. Dadurch zogen sich Fans schwere Blutergüsse zu. Bühnenabsperrgitter wären hier die korrekte Lösung gewesen, da sie durch aufgeschweißte Lochbleche eine gleichmäßige Fläche bilden auf der sich der Druck besser verteilt. Zusätzlich bieten sie die Möglichkeit, durch rückseitig angebrachte Trittstufen Kinder oder Verletzte durch Sicherheitskräfte aus der Menge zu ziehen.
- Der Aufbau als Trichter führt zu einer Erhöhung des Drucks auf die Menschen, die sich tief im Trichter befinden. Wäre es eine gerade Linie mit normalen Vereinzelungsdurchlässen gewesen, hätte die Menschenmenge sie gleichmäßig durchfliesen können.
- Sperrung der Sperrstelle zur Bildung von 100er Gruppen
Der letzte Punkt führt in meinen Augen zur Eskalation der Situation, da diese Handlung kurz vor Anpfiff stattfand. Normalerweise wird sich auf einen verspäteten Anpfiff verständigt, wenn sich große Mengen Fans noch außerhalb des Stadions befinden, hier jedoch nicht. Nun steht also eine große Gruppe Fans bei einem brisanten Abstiegdsderby kurz vor Anpfiff in einiger Entfernung zum Stadion und sieht keinerlei Bewegung und wird nicht informiert, wann es weitergehen soll. Die einzige Information war, dass ein Durchlass in Gruppen stattfindet. Der Druck steigt nun weiter durch nachströmende Fans und schließlich kollabiert die Polizeikette und auch mindestens ein Hamburger Gitter komplett (Es lag zusammengeklappt unter meinen Füßen, als ich darüber fiel). Menschen stolpern unkontrolliert durch die Absperrung und die Polizei eskaliert die Lage weiter durch Pfefferspray, Schlagstockeinsatz und parkt zusätzlich einen Wasserwerfer 10000 mitten im Durchgang (über den einsatztaktischen Nutzen eines von Menschen komplett umstellten und so unbeweglichen Wasserwerfers kann man vermutlich auch streiten). Gewalteinsatz führt immer zu unkontrollierbaren Dynamiken und versetzt die Menschenmenge in Panik. Der menschliche Fluchtinstinkt setzt hier ein. Es wäre durchaus möglich gewesen, die Menschenmenge kurz aufzuhalten, wie es beispielsweise bei Heimspielen am Arenabahnhof zur Abreise praktiziert wird. Jedoch ist dort jederzeit ersichtlich, dass man sich nur kurz im Gedränge befindet und schnell einen Platz im Zug bekommt. Ebenso herrscht keine Eile um pünktlich zum Anpfiff zu kommen.
Nun heizt sich die Stimmung weiter auf und die Polizei reagiert an der geplanten Körperkontrollstelle durch eine neue Kette. Hier, erneut der Fehler, den Strom komplett anzuhalten, statt ihn kontrolliert und langsam in die Kontrolle abfließen zu lassen. Erneut steigt der Druck und auch diese Linie bricht. Erneut wird massiv Gewalt von Seiten der Polizei eingesetzt. Die Fans strömen nun direkt auf die geschlossenen Einlässe am Stadion zu. Es ist jetzt 18:35, das Spiel wurde pünktlich um 18:30 angepfiffen.
Diese sind ausgerüstet mit Toren die nach außen, also in die Menge, öffnen. Hinter den Toren, stumme Ordner und Polizisten, es findet keinerlei Kommunikation statt. Der Druck steigt auch hier immer weiter bis ein Notausgangstor, links von den Einlasstoren, aufgebrochen oder von innen geöffnet wird und die Menschen nun abfließen können. Es ist jetzt 18:50, der Anpfiff ist mittlerweile 20 Minuten her. Hinter diesem Tor werden die flüchtenden Menschen erneut von Polizisten angegriffen und teilweise wahllos in Gebüsche geschubst auch wenn sie nur desorientiert herumstehen. Die Polizei zieht sich jedoch anschließend zurück und lässt die Menschen komplett unkontrolliert ins Stadion.
Das Konzept scheint auf eine stabile Aufteilung in 100er Gruppen ausgelegt gewesen zu sein und hatte anscheinend keine Pläne, falls diese Maßnahme versagen sollte. Die gesamte Situation wurde dann, natürlich durch das begonnene Spiel und den massiven Gewalteinsätzen, verschärft. Ich bin wahrhaftig kein Freund von permanenten Loveparade Vergleichen sobald sich irgendwo eine Menschenmenge staut, jedoch traten bei der Loveparade die massiven Probleme auch erst durch die Schließung der Zugänge auf und durch nachströmende Menschen die auf das Veranstaltungsgelände gelangen wollten, wo die Parade bereits begonnen hatte.
Die Polizei möchte ihr Handeln nun natürlich rechtfertigen und jegliche Verantwortung von sich weisen. Hierzu behaupten sie eine künstliche Verzögerung des Marsches und einen absichtlich späten Start. Doch selbst die 16:37 S-Bahn erreichte den Bahnhof im Schlenk nicht wie geplant um 17:03 sondern weitaus später. Hierraus resultiert, dass die Fanszene auf die verspätet Anreisenden wartete und sich dann gesammelt um 17:50 in Bewegung setzte. Für eine zwei Kilometer lange Strecke benötigt selbst ein durchschnittlicher Fußgänger, der sich frei bewegen kann, etwa 25 Minuten. Die Bewegungsgeschwindgkeit einer großen Gruppe nimmt aber jedoch bei steigender Dichte, nach einer anfänglichen Zunahme, rapide ab. Daher ist der Vorwurf, der vorsätzlich langsamen Fortbewegung, aus der Luft gegriffen sondern die geringe Geschwindigkeit entsteht durch die Bewegung als Gruppe.
Literatur:
BaSiGo: Bausteine für die Sicherheit von Großveranstaltungen
Statische und dynamische Personendichten bei Großveranstaltungen