Planst du zufällig dieses Jahr nach Russland zu reisen, um ein WM-Spiel zu verfolgen? Hast du dir schon Gedanken über deine Anreise gemacht? Es ginge natürlich bequem per Flugzeug. Aber wenn du das Reiseerlebnis sucht, gibt es für dich auch eine Zugverbindung von Berlin über Warschau und Minsk nach Moskau. Angeboten wird die Verbindung von der russischen Staatsbahn RŽD (РЖД). Die 1.898 km lange Strecke schafft der Zug in ca. 20 Stunden. Einen Teil dieser Strecke bereise ich bald; von Berlin bis Minsk. Dorthin führt eine Studienreise mit dem Thema „Erinnerungskulturen zum 2. Weltkrieg und dem Holocaust: Belarus“. Eigentlich war die An- und Abreise per Nachtzug geplant. Leider gab es eine Buchungspanne, sodass ich auf der Hinfahrt die Ehre habe die Strecke Berlin-Minsk per Linienbus zurückzulegen. Zum Ausgleich gibt es auf der Rückreise im Nachtzug sogar ein Abteil in der Ersten Klasse; das bedeutet ein 2er Abteil mit eigenem WC und Dusche. Ich bin sehr gespannt, ob es so komfortabel wie versprochen wird. Ich, als kleiner Bahnnerd, freue mich schon sehr auf die Tour, da der Zug an der weißrussisch-polnischen Grenze umgespurt werden muss, damit er auf der schmaleren europäischen Normalspur fahren kann.
Um euch einen Eindruck von Bahnreisen in Russland zu geben und mich selbst einzustimmen, teile ich heute die Bilder und Erlebnisse meiner letzten Reise mit euch! Letzten Sommer fuhr ich in 20 Stunden knapp 1.500 km von Perm nach Moskau mit dem Prestige-Zug „Rossija“ der Transsibirischen Eisenbahn, der mit den Zug-Nummern 1 und 2 auf der Strecke Moskau-Wladiwostok verkehrt.
Die Abreise in Perm
Die Reise begann am Bahnhof Perm-II (Пермь-II) – dem Hauptbahnhof von Perm. Die Zwei im Namen bezeichnet die zeitliche Reihenfolge der Bahnhofsbauten. Der ältere Bahnhof Perm-I (Пермь-I) war 1899 zu klein geworden und konnte, da die Stadt um ihn herum weiter gewachsen war, nicht erweitert werden. Deshalb wurde fünf Kilometer weiter westlich und außerhalb des Stadtzentrums der neue Bahnof Perm-II gebaut.
Nicht nur die diese Benennung der Bahnhöfe mit Zahlen war für mich ungewohnt; alle Abfahrtszeiten auf Tickets und Fahrplänen werden in Moskauer Zeit angegeben. Das kann bei einem Zug, der von Wladiwostok bis Moskau fährt, maximal eine Differenz von sieben Stunden ausmachen. In Perm waren es zum Glück nur zwei Stunden Differenz. Und als ob diese Zeitangaben nicht ungewohnt genug wären, werden auf Fahrplan und Ticket keine Angaben zum richtigen Bahnsteig gemacht. Denn in Russland werden die Bahnsteige, ähnlich wie in Frankreich, erst kurz vor der Abfahrt zugewiesen und dann an großen Anzeigetafeln bekannt gegeben. Mein Taxi hatte mich so früh an den Bahnhof gebracht, dass ich noch einige Zeit vor dieser Tafel warten musste. Nachdem das Gleis feststand, ging ich zum Gleis und wartete dort die letzten Minuten bis zur Ankunft des Zuges. Da der Zug in jedem Bahnhof lange Aufenthalte hatte (in Perm 20 Minuten), konnte ich problemlos den richtigen Waggon finden. Pro Waggon gibt es eine Schaffnerin (Provodnitsa/проводница) oder Schaffner (Provodnik/проводник), der beim Einstieg Reisepass und Fahrschein kontrolliert. In meinem Fall war es eine Schaffnerin, die mir dann freundlich den Weg zu meinem Abteil wies.
Im Abteil
Mein Abteil war ein vollbelegtes 4er Abteil. An beiden Wänden des Abteils gab es jeweils zwei Betten bzw. tagsüber Sitzbänke. Die oberen beiden Betten waren belegt von einem Vater und seinem Sohn, die ein undefinierbares Tannengrün in Plastiksäcken transportierten. Mein Bett befand sich unten gegenüber einer Frau, die ich auf Anfang oder Mitte 30 schätzte. Sie stellte sich mir später als Olga vor und sprach vergleichsweise gutes Englisch, da sie einige Zeit in Italien studiert hatte. Da ich durch die Nacht fuhr, bekam ich zusätzliches Bettzeug, eine Zahnbürste und Slipper ausgehändigt. Ich muss mich beim Beziehen meiner Pritsche so ungeschickt angestellt haben, dass Olga es sich nicht weiter ansehen konnte und mir half.
Nachdem mein Bett soweit hergerichtet war, bekam ich noch in unerwartetes Abendessen, das ich aber wohl gebucht hatte. Ich konnte wählen zwischen Schweinefleisch mit Buchweizen (Gretschnewaja Kascha) oder Hühnchen mit Reis. Da ich in den vorigen Wochen schon mehr als genug Kascha gegessen hatte und den Geruch langsam nicht mehr ertragen konnte, wählte ich das Hühnchen. Die Zutaten des Gerichts wurden absolut wörtlich genommen und so gab es für mich trockenen Reis mit trockenem Hühnchen. Nach dem Abendessen profitierte ich von Olgas Gastfreundschaft. Sie lud mich auf Tee und Kekse ein. Für den Tee befindet sich in jedem Waggon ein Boiler, an dem man der rund um die Uhr heißes Wasser zapfen kann. Im Gespräch erzählte mir Olga, dass sich bereits seit über zwei Tagen im Zug befand, da sie in Irkutsk zugestiegen war.
Neben den Abteilen der Zweiten Klasse gab es im Zug noch die Erste und Dritte Klasse. In der Ersten Klasse reist man in einem 2er Abteil und hat in manchen Zügen sogar ein eigenes WC und Dusche. Die Dritte Klasse (Platzkart/плацкарт) hat keine geschlossenen Abteile, sondern einen komplett offenen Waggon. Entlang des Ganges hängen jeweils zwei Betten übereinander längs zur Fahrtrichtung. In den abteilähnlichen Einbuchtungen befinden sich die Betten an Trennwänden quer zur Fahrtrichtung. Reisen in Platzkart-Klasse ist die günstigste Option, bietet allerdings auch die geringste Privatsphäre. Einige Leute, mit denen ich die Wochen in Perm verbracht hatte, reisten in dieser Klasse weiter nach Jekaterinburg. Sie berichteten später von einer stark alkoholisierten finnischen Seniorengruppe im Zug und waren froh, dass ihre Fahrt nur sechs Stunden dauerte.
Um sechs Uhr morgens wurde ich unsanft geweckt, da die beiden Männer über mir in Nischni Nowgorod ausstiegen und ziemlich lärmten, als sie ihr Gepäck sammelten und das Abteil verließen. Danach konnte ich zum Glück noch etwas weiterdösen, bis ich schließlich entschied aufzustehen und mich im Waschraum des Waggons frisch zu machen. Beim letzten Halt in Vladimir, drei Stunden vor Moskau, verließ ich den Zug und genoss die strahlende Sonne. Beim Warten auf die Weiterfahrt sah ich zu, wie die Lokomotiven unseres Zuges getauscht wurden.
Ankunft in Moskau
Die letzten Stunden vor Moskau waren die zähsten, ich möchte mir gar nicht vorstellen wie langweilig eine mehrtägige Zugfahrt sein muss. Als die Moskauer Vorstädte sichtbar wurden, hielt ich Ausschau nach den alten sowjetischen Radiotürmen von Elektrostal, die ich bisher nur aus Dokus über russische Jugendliche kannte, die ohne Sicherung auf ihnen herum kletterten. Zu meiner Freude, waren sie tatsächlich vom Zug aus erkennbar. Nun war es Zeit mein Gepäck wieder zusammenzupacken und alle Beutel an den Rucksack zu knoten. Zum Abschied bekam ich von Olga noch ihre Visitenkarte überreicht. Ich staunte nicht schlecht, dass sie als Master of Laws beim russischen Staatskonzern Transneft arbeitete. Transneft betreibt die staatlichen Erdöl Pipelines und verfügt über das weltweit größte Pipeline-Netz.
Der Ankunftsbahnhof war der Jaroslawler Bahnhof, der in direkter Nachbarschaft von zwei anderen Bahnhöfen am „Platz der Bahnhöfe“ liegt. Vom Dach des Empfangsgebäudes begrüßten mich Hammer und Sichel und hießen mich in Moskau Willkommen.
Ab diesem Jahr gibt es übrigens eine neue , richtig spannende Zugverbindung: Wien-Istanbul-Tbilisi-Baku, alles im Direktzug betrieben von der Aserbaidschanischen Staatsbahn 🙂
Wie lange fährt man denn auf dieser Strecke? Klingt aber echt großartig. 🙂
puh, gute Frage. Mal so grob geschätzt… 72h Stunden? Nach Istanbul solltens ca 24 Stunden sein. Sicher extrem spannende Sache