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Kategorie: Politik

„Trinkt Vodka, aber nicht während der Arbeit“ – COVID-19 in Ost- und Ostmitteleuropa

Gestern Abend verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel die neue Kontaktsperre, die in fast allen Bundesländern einheitlich gilt. Auf Instagram toben zeitgleich mehrere Challenges, die unsere Stories mit Kinderfotos verstopfen und gefühlt jede*r fühlt sich berufen einen eigenen Podcast anzubieten. Ich möchte diese Nabelschau ein wenig durchbrechen und dir einen kurzen Einblick in die Maßnahmen unserer östlichen Nachbarn im Kampf gegen das Coronavirus geben.

Traktoren und Feldarbeit gegen das Virus in Belarus

Direkt zu Beginn möchte ich das klischeehaft anmutende Zitat aus der Artikelüberschrift aufklären. Es ist leider keine Erfindung von mir, sondern die Übersetzung eines Satzes aus einer Pressekonferenz des belarusischen Präsidenten Aljaksandr Lukaschenka vom 16. März. Er verkündete die Schließung der Grenze zu Russland und lieferte, neben der Aufforderung zum regelmäßigen Händewaschen, noch eine Handvoll fragwürdige Tipps für die belarussische Bevölkerung mit: Vodka trinken, um die Viren abzutöten, aber nicht während der Arbeit; mehrmals wöchentlich saunieren, ebenfalls zur Abtötung der Viren und Feldarbeit, am besten mit Traktoren. N-TV zitiert ihn mit der Aussage: „Dort wird der Traktor alle heilen, das Feld wird alle heilen.“

Polen und Tschechien stellen europäische Solidarität auf die Probe

Sowohl in Polen als auch in Tschechien wurden am Wochenende chinesische Hilfslieferungen für Italien beschlagnahmt. In Tschechien handelte es sich dieser Meldung zufolge um eine Lieferung im Umfang von 680.000 Schutzmasken und mehrere tausend Beatmungsgeräte. In Polen wurden zusätzlich 23.000 für Italien bestimmte Masken festgehalten. Tschechien hat den Vorfall bereits bestätigt und sich entschuldigt. Es wird nun versucht die Lieferung schnellstmöglich nach Italien zu bringen. Doch in der aktuellen Krisenlage kann natürlich auch eine Verzögerung von 24 Stunden kritische Folgen für das überlastete Gesundheitssystem in Italien haben. Hoffentlich wird nationaler Egoismus nicht zu einem Trend innerhalb der EU.

und und und … . – Stilblüte der Pressestelle im Rathaus Neuss

Pixelige Unterschrift und pixeliges Logo

Letzte Woche erhielt ich ein Einladungsschreiben vom amtierenden Bürgermeister der Stadt Neuss bzw. von seiner Pressestelle. Er lädt in verschiedenen Stadtvierteln zu Bürgergesprächen ein. Soweit so gut. Leider verfügt die Pressestelle anscheinend weder über ein hochauflösende Logo der Stadt Neuss, noch über einen hochauflösenden Scan von Rainer Breuers Unterschrift. Scheint sie aber nicht davon abzuhalten, besagte Grafiken verpixelt auf die Einladung zu drucken.

Dazu nutzen sie mitten im Schreiben die Formulierung “und und und … .” und fuhren danach mit einer weiteren Aufzählung fort.

Welche Person gibt so einen Brief frei? Und wie soll ich diesem Bürgermeister (immerhin Chef der Verwaltung) in Digitalisierungsfragen trauen?

Vermutlich werden Dinge wie eine Online-Terminvereinbarung im Bürgeramt (in Düsseldorf normal) wohl in Neuss weiterhin Wunschdenken bleiben.

 

Hier die komplette Einladung:

Einladungsschreiben Bürgerspräch

Der MDR, die Wehrmacht und eine sinnentstellende Überschrift

Update 12.05.17 14:42: Der MDR hat die Überschrift in “Wehrmachtsgeneräle als Namenspatrone für Bundeswehr-Kasernen?” geändert.

tl;dr: Der MDR fragt einen Fachmann nach seiner Meinung zum Traditionserbe der Bundeswehr und bekommt eine wissenschaftliche Antwort. Diese Antwort ist aber nicht reißerisch genug und daher wird eine völlig sinnentstellende Headline für das Interview genutzt. Diese Überschrift geht komplett an den historischen Fakten vorbei.zeigt einen Screenshot vom Radio Interview mit Jochen Böhler

Der MDR führte gestern ein Telefoninterview mit dem Militärhistoriker Jochen Böhler. Er wurde befragt, wie die Bundeswehr in seinen Augen mit dem Traditionserbe der Wehrmacht umgehen sollte. Seine Antworten könnte man mit der klassischen Historikerantwort „Das muss man differenziert betrachten.“ zusammenfassen. Er stellt in Frage ob Kasernen weiterhin nach Wehrmachtsangehörigen benannt sein sollten und ob nach welchen Gesichtspunkten über eine Benennung entschieden werden sollte. In seinen Augen sollte diese Frage nicht in Hinblick auf militärische Erfolge, sondern vielmehr auf die Tauglichkeit zum demokratischen Vorbild untersucht werden. In diesem Zusammenhang spricht er von der Verteidigung von „Recht und Freiheit“. Er nutzt diese Worte im Verlauf des Interviews erneut. Der MDR strickte daraus folgende Überschrift:

Wehrmachtsangehörige kämpften teils für „Recht und Freiheit“

Dieses Zitat ist auf drei Ebenen falsch:

  1. Böhler hat es so nicht gesagt.
  2. Er sprach nie von kämpfen im Zusammenhang mit „Recht und Freiheit“. Bei der ersten Nennung sprach er von den Idealn „Recht und Freiheit“ und bei der Zweiten vom Einsatz für „Recht und Freiheit“.
  3. Die Zahl der Wehrmachtsangehörigen die sich tatsächlich für „Recht und Freiheit“ eingesetzt haben ist verschwindend gering. Wolfram Wette geht in „Retter in Uniform“ von ca. 100 Personen aus. Insgesamt versahen 18,2 Millionen Soldaten Dienst in der Wehrmacht.

Ein Beispiel für einen Wehrmachtssoldaten der sich für „Recht und Freiheit“ auszeichnete ist der Hauptmann Willy Schulz. Hier war das vorherrschende Motiv vermutlich die Liebe zu einer Jüdin aus einem ihm unterstellten Arbeitskommando. Am 31. März 1943 desertierte er mit einem Wehrmachts-LKW aus Minsk. Auf der Ladefläche befand sich das jüdische Arbeitskommando seiner Geliebten, insgesamt 25 Personen. [1]

Doch warum gibt es bei der Bundeswehr keine Willy-Schulz-Kaserne?

Einfache Antwort: Keine Armee der Welt kann eine Kaserne nach einem Deserteur benennen. Das passt schlicht nicht in das Bild von Befehl und Gehorsam. Gleiches gilt für Soldaten die sich Befehlen, beispielsweise zur Teilnahme an Massenerschießungen, widersetzten.

 

[1] Wette, Wolfram; Haase, Norbert (Hg.) (2002): Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht. Orig.-Ausg. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verl. (Die Zeit des Nationalsozialismus, 15221), S. 618